Suche

Corona-Maßnahmen verfassungswidrig I

Sind die Maßnahmen des Bundes und der Länder zum sogenannten Shut-Down wegen Verstoßes gegen die Grundrechtsbindung verfassungswidrig?

Handeln Bund und Länder im Rahmen der ihr durch Art. 20 Abs. 3 GG auferlegten Bindung an die verfassungsmäßige Ordnung bzw. an Gesetz und Recht, also entsprechend dem Rechtsstaatsprinzip? Oder ist vielleicht das Handeln aus Gründen eines Notstandes verfassungsrechtlich legitim bzw. müssen Fragen der Verfassungsmäßigkeit zunächst bis zur Lösung der Krise zurückstehen?

Die Bundesregierung als ausführende Gewalt ist gem. Art. 20 Abs. 3 GG an Gesetz und Recht gebunden. Wenn die Bundesregierung unter Leitung der Bundeskanzlerin, als Inhaberin der Richtlinienkompetenz, zu der Auffassung gelangt, die gesamte Bundesrepublik (d.h. nicht nur ein Bundesland mit einer eigenen Exekutivgewalt) befinde sich in einer Situation, die das Handeln der Bundesregierung (unter Einbeziehung auch sämtlicher Landesregierungen) erforderlich mache, so folgt aus dieser Bindung an Gesetz und Recht, dass auch die Bundesregierung zunächst mit Sorgfalt zu prüfen hat, ob der in Rede stehende Sachverhalt durch ein Bundesgesetz erfasst ist, das der Bundesregierung Vorgaben für ihre Handlungsweise oder das weitere Vorgehen staatlicher Einrichtungen macht.

Wenn die verfassungsmäßige Ordnung, an die auch der Gesetzgeber gebunden ist, bereits durch ein Gesetz, zuerst auch im formellen Sinne, den zu behandelnden Tatbestand einer näheren Regelung unterstellt hat, so kann die Bundesregierung das gesetzlich vorgegebene Handlungsprogramm wegen Art 20 Abs. 3 GG nicht umzusetzen ablehnen oder ohne Weiteres als nicht einschlägig außen vor lassen und stattdessen andere, davon abweichende Handlungswege einschlagen.

Bei der Prüfung, ob der Regelungsbereich eines Gesetzes betroffen ist, hat der Inhaber der Exekutivgewalt auch keine Beurteilungprärogative. Vielmehr ist die Richtigkeit seiner Prüfung bzw. seine daraus folgende Entscheidung vollumfänglich durch die rechtsprechende Gewalt nachprüfbar. Jedwede gesetzeswidrige Fehleinschätzung ist ohne weiteres rechtswidrig und – auch falls kein Eingriff in den Schutzbereich eines speziellen Grundrechts festzustellen ist – wegen der Verletzung des Grundrechts der allgemeinen Handlungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 1 GG für den einzelnen Betroffenen des staatlichen Handelns unmittelbar grundrechts- und damit verfassungswidrig. Nach dem von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelten Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit hat nämlich jeder Bürger das Grundrecht, nur auf Grund solcher Vorschriften mit einem Nachteil belastet zu werden, die formell und materiell der Verfassung gemäß sind. Das Grundrecht dient der Sicherung vor staatlichen Freiheitsbeschränkungen, die nicht den demokratisch-prozeduralen und grundrechtlich-materialen Rechtfertigungslasten gemäß erfolgen. Diesen Lasten entspricht nur ein staatliches Handeln entsprechend eines Gesetzes, dessen normativer Regelungsanspruch aus der demokratischen Legitimation folgt. Gesetzesgebundenheit aller staatlichen Gewalt ist unbedingte Folge des Rechtsstaatsprinzips, das durch die Ewigkeitsgarantie sogar der Verfügbarkeit des Verfassungsgesetzgebers entzogen ist.

Nur außerhalb des aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Grundsatzes der Gesetzesgebundenheit nach Art. 20 Abs. 3 GG kommt eine ungebundene Handlungsermächtigung des ausführenden Gewalt des Bundes in Betracht. Nur wenn der Regelungsgehalt eines Bundesgesetzes nicht betroffen ist, kann in Betracht gezogen werden, dass die verfassungsmäßige Ordnung ein staatliches Handeln durch die Exekutive des Bundes ermöglicht. Dies ist gewissermaßen der ausschließliche Ort des „Primats der Politik“. Soweit die verfassungsmäßige Ordnung und auch Gesetz und Recht der ausführenden Gewalt keine verbindlichen Vorgaben machen, ist „die Politik“ als Träger öffentlicher Ämter der Exekutive zu ungebundenem Handeln berechtigt.

Sobald dieses staatliche Handeln jedoch als den Bürger belastende Maßnahme in Erscheinung zu treten geeignet ist (also bei sogenannten Eingriffsakten), folgt für die dann sogenannte Eingriffsverwaltung unmittelbar aus der Grundrechtsbindung aller staatlichen Gewalt, ansonsten aber außerdem für alles staatliche Handeln, welches wesentliche Bedeutung für Grundrechte hat, nach der sogenannten Wesentlichkeitstheorie des Bundesverfassungsgerichts, ein Gesetzesvorbehalt, wonach für jedwedes entsprechende Handeln auch der Bundesregierung oder ihrer Mitglieder eine konkrete, ermächtigende Grundlage im Sinne eines verfassungskonformen Gesetzes im formellen Sinne erforderlich ist.

Nur wenn die aus einer unmittelbar gegenwärtigen, allgemeinen Gefahr folgende Bedrohung ein staatliches Handeln unmittelbar durch die Exekutive derart dringlich erforderlich macht, dass die Wahrung der Vorgaben des Rechtsstaatsprinzips, wie insbesondere die Befassung des Gesetzgebers, ihrer Natur nach nicht mehr realisierbar erscheinen lassen, kann von einem (Verfassungs-)Notstand ausgegangen werden, der u.U. auch ein grundrechtsrelevantes Eingriffshandeln der Bundesregierung verfassungsgemäß erscheinen lassen könnte.

Bei der sogenannten Corona-Krise kann jedoch aus mehreren Gründen nicht im Entferntesten von einer derartigen Notstandssituation gesprochen werden:

Weder handelt es sich eine entsprechende dringliche Gefahr (was hier keiner näheren Erörterung bedarf, s.u.), noch bestanden Hindernisse einer Befassung des Gesetzgebers (der nämlich – wenn auch völlig unzureichend – befasst wurde und zahlreiche gesetzliche Vorschriften geändert hat).

Entscheidend ist jedoch insofern für die Frage der Rechtmäßigkeit des staatlichen Handelns der Bundesregierung und in Folge auch der Landesregierungen die Tatsache, dass es sich bei den mit dem Begriff Corona-Krise umschriebenen Umstände (allseits ohne Zweifel) um Sachverhalte handelt, die von einem (bestehenden) Bundesgesetz erfasst und durch dieses umfassend und wohl auch abschließend geregelt sind.

Nach der gängigen Nomenklatur handelt es sich bei einer pandemischen Infektion mit einem auch schwer bis tödlich wirkenden Virus nicht um eine Naturkatastrophe, sondern um eine Seuche, und damit um eine sogenannte übertragbare Krankheit im Sinne des Infektionsschutzgesetzes. Wenn es der Gesetzgeber auch irritierenderweise unterlassen hat, bei Gelegenheit der Krise auch Coronaviren-Epidemien ausdrücklich in die Listung von Infektionen im Sinne des Gesetzes aufzunehmen, so herrscht dennoch offenbar auch Einigkeit unter den handelnden Personen, dass die Corona-Krise im Anwendungsbereich des Infektionsschutzgesetzes liegt und damit für die Rechtmäßigkeit des staatlichen Handelns dessen normative Vorgaben zu beachten sind.

Dies gilt zumindest insoweit, als der Gesetzgeber (wie gegenwärtig für die Corona-Pandemie) nicht zu der Entscheidung gelangt, dass wegen der Einschränkungen und Grenzen des Infektionsschutzgesetzes die nach der Beurteilungsprärogative vom Gesetzgeber einzuschätzende Notwendigkeit weitergehender Maßnahmen besteht, die dann unter Wahrung der erwähnten demokratisch-prozeduralen und grundrechtlich-materialen Rechtfertigungslasten durch Gesetz legitimiert werden müssten. Dergleichen ist für die hier in Rede stehenden Corona-Verordnungen ganz offenkundig nicht angenommen worden.

Entscheidend für die Beurteilung der Verfassungsgemäßheit ist nun aber der Umstand, dass das Infektionsschutzgesetz dem Prinzip des Gefahrenabwehrrechtes folgt, wonach sämtliche Eingriffe in Grundrechte oder grundrechtsgleiche Rechte vom Grundsatz her nur gegenüber sogenannten Störern vorgenommen werden können, d.h. solchen Personen, von denen die Gefahren einer weiteren (epidemischen) Verbreitung einer übertragbaren Krankheit in relevant konkreter Weise ausgehen. Gegenüber allen anderen Personen, von denen die in Rede stehende Gefahren nicht ausgehen, also sogenannte Nichtstörern, können die entsprechenden Maßnahmen gerade nicht in vergleichbarem Maße ergriffen werden. Dies gilt vor allem dann, wenn ein Spezialgesetz die Inanspruchnahme bestimmter Personen vorgibt. Dieses Prinzip des Gefahrenabwehrrechts wahrt gerade den Kernbestand der grundrechtlichen Schutzbereiche in Gestalt der Menschenwürde, wonach der Einzelne nicht zum bloßen Instrument politischen Handelns wegen einer angenommenen höheren Nowendigkeit gemacht werden kann.

Hier aber bedarf es aber gar keiner näheren Fundierung der Grenzen einer Inanspruchnahme von Nichtstörern, weil das Infektionsschutzgesetz die in § 32 getroffenen Verordnungsermächtigungen ausdrücklich dahingehend beschränkt hat, dass durch Rechtsverordnung nur “entsprechende Gebote und Verbote” geregelt werden können, “unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach den §§ 28 bis 31” gesetzt wurden. In § 28 sind die möglichen Maßnahmen aber auf “Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider” begrenzt, also der Begriff des Störers näher eingrenzend definiert worden. Nirgendwo im Infektionsschutzgesetz und insbesondere in den §§ 28 – 31 IfSG sind dagegen Maßnahmen gegenüber der “Bevölkerung” oder “Bevölkerungsteilen” vorgesehen – geschweige denn Rechtsverordnungen zu erlassen, die die in § 32 S. 3 IfSG genannten Grundrechtseinschränkungen legitimieren.

Insofern also aus den Rechtsverordnungen der Bundesländer nach § 32 IfSG, die nach Koordinierung mit der Bundesregierung und ergänzt durch einzelne flankierende Regelungen des Infektionsschutzgesetzes ergingen, weitreichende Einschränkungen der Grundrechte in den Bevölkerungen aller Bundesländer folgen, finden diese als Eingriffe in den Schutzbereich diverser Grundrechte von Nichtstörern gerade keine Grundlage in den zur Einschränkung von näher genannten Grundrechten legitimierenden gesetzlichen Regelungen der §§ 28ff IfSG. Ein Gesetz im formalen Sinne, als nach Art. 20 Abs. 3 GG und insbesondere auch der Grundrechtsbindung aller staatlichen Gewalt unentbehrlicher Voraussetzung eines jeden Grundrechtseingriffs liegt insoweit gerade nicht vor.

Die Corona-Verordnungen der Landesregierungen und alle vergleichbaren staatlichen Maßnahmen mit grundrechtseingreifenden Wirkungen sind somit am Maßstab grundlegender Verfassungsprinzipien rechts-, grundrechts- und verfassungswidrig. Auf Fragen der Verhältnismäßigkeit kommt es insofern nicht einmal an.

Die Corona-Verordnungen sind sogenannte Exekutivverordnung, wodurch die Rechtswidrigkeit zugleich die Nichtigkeit bedeutet. Die Verordnungen entfalten also unabhängig von einer entsprechenden gerichtlichen Feststellung keine rechtliche Wirkung. Alle auf ihr gründenden Maßnahmen wie Bußgeldbescheide etc. sind unmittelbar rechtswidrig.

Zurück